Fotos zu meinem Beitrag im Bahn-Report 3/08
über die neugebaute Abzweigstelle Neulustheim gibt es hier



Die zungen- und herzstücklose Weiche


Das ist kein Scherz! Bei der DB gibt es nichts, was es nicht gibt.

Zwischen Dachau und Röhrmoos an der Strecke von München nach Ingolstadt wurden solche zum Bedienen des etwa 5 km langen Neubauabschnittes mit Arbeits- und Schotterzügen verwendet. Einen Überblick über ein solches Exemplar gibt das folgende Bild.


Sie sieht zwar aus wie eine kurzfristig durch Ausbau von Zungen und Herzstück rückgebaute Weiche, ist aber eine "temporäre Gleisverschwenkung". So die offizielle Bezeichnung.

Für das "Umstellen" der Weichen und das Ein- oder Auslassen von Fahrzeugen in oder aus dem Baugleis muss extra eine Betra aufgestellt werden, da es keine signaltechnische Absicherung gibt. Für einen solchen Vorgang ist daher eine mehrstündige Sperrung des Betriebsgleises vorgesehen.

Wie aus gut unterrichteter Quelle zu erfahren war, ist diese Variante eines Baugleisanschlusses ursprünglich als Notlösung entwickelt worden. Eine kurzfristige Planungsänderung sah neu den Einbau von Bauweichen vor. Dies hätte aber auch eine neue Software für das zuständige ESTW Petershausen bedeutet. Damit wären nicht nur die Kosten erheblich gestiegen - der Inbetriebnahmetermin des ersten Neubauabschnittes zu Ostern 2003 mit mehrtägiger Vollsperrung zwischen Dachau und Petershausen wäre nicht zu halten gewesen. Die verantwortlichen Ingenieure "erfanden" daraufhin diese zungen- und herzstücklose Weiche. Die benötigten speziellen Schwellen und Schienenbefestigungen konnten kurzfristig beschafft werden.

Mittlerweile kommt die zungen- und herzstücklose Weiche öfters zum Einsatz. Nun aber auch durchaus geplant. Nämlich dort, wo der entscheidende Nachteil, die umständliche Bedienungstechnologie, nicht so von Bedeutung ist. Die Vorteile einer solchen Weiche sind übrigens geringe Kosten und ein unkomplizierter Einbau.

Der Blick in Richtung "Zungenspitze" läßt das Prinzip erkennen. Die Schienenschrauben, mitsamt den Unterlagplatten werden gelöst, dann werden die Unterlagplatten seitlich verschoben und wieder neu verschraubt. An der Reihe der lose in den Löchern steckenden Schrauben läßt sich der Radius ausmachen.

Bild 3 zeigt, dass die letzten 4 Platten nicht verschoben werden, sondern eine besondere Form ausweisen. Hier muss nur die Schiene umgelegt werden.

Dieses Bild zeigt noch einmal, wie weit die Unterlagplatten auf der Schwelle verschoben werden müssen.

Das "Herzstück". Offensichtlich löst man nur die Passschiene und setzt sie neu ein. Die mittleren Unterlegplatten müssen aber auch hier auf der Schwelle an ihren neuen Platz wandern.

Eine Detailaufnahme an der Schienenverbindung zeigt, dass die Schienen nur mit Laschen verbunden sind. Die Kabel dienen der Erdung bzw. der Rückleitung des Fahrstroms. Der Schienenstoss bedingt die Einrichtung einer vorrübergehenden Langsamfahrstelle (La) mit v/max 70 km/h.

Zum Schluss noch eine Nahaufnahme der Schienenbefestigung. Die Schrauben der Platten werden nur für jeweils eine Position verwendet. Wie zu sehen, sind die für das Hauptgleis rot gekennzeichnet.

Bei den Baumaßnahmen zu Ostern 2003 versetzte man die "zungen- und herzstücklose Weiche" etwa 2km nach Norden, um das Baufeld nördlich des Hp Hebertshausen bedienen zu können. In diesem Bereich, der ab 2004 4-gleisig betrieben wird, wurde die Eisenbahnstrecke völlig neu trassiert.

Im Bereich der Weiche schwenkten die beiden Betriebsgleise von den Fernbahn- auf die zukünftigen S-Bahn-Gleise. Auf den nächsten 3 Kilometern war die Fernbahn erst im Bau. Einmal wöchentlich, in der Regel in der Nacht von Samstag auf Sonntag, wurde die Weiche "umgestellt".

100 Meter weiter wartet der Schotterzug auf die Nacht, um dann das Baugleis verlassen zu können. Links im Bild ist eine ganz normale Bauweiche, damit auf beiden Gleisen gebaut werden kann. Um zu verhindern, dass aus dem Baubereich Wagen abrollten und u.U. den Zugverkehr auf der Hauptstrecke gefährdeten, mussten die Lokomotiven sich immer talseitig befinden. Eine zeitlang wurde auch die Ellok 139 132 hier abgestellt um im Bedarfsfall als Prellbock zu dienen. Hat jemand davon ein Bild?

Anfang 2006 fand ich beim durchblättern alter "Fahrt Frei"-Jahrgänge ("Fahrt Frei" - Zeitung der Eisenbahner der Deutschen Reichsbahn der DDR) in der Ausgabe 46 / 1959 auf der Titelseite diesen Artikel. Tja, man lernt nie aus.



Eine weitere zungenlose Weiche wurde Anfang 2008 beim Umbau der Abzweigstelle Neulustheim in München verwendet. Bilder davon gibt es hier.

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Stand 02.05.2008